Laudatio der Jugend-Jury von Elska Dorge anlässlich der Gerstäcker-Preisverleihung 2022 an Kirsten Boie für ihr Buch „Heul doch nicht du lebst ja noch“
Wir hören es in den Nachrichten.
Jeden Tag.
Es gab weitere Angriffe.
Sie haben ein Krankenhaus getroffen. Oder ein Wohnhaus.
Und wir sehen Bilder aus betroffenen Regionen.
Bilder auf denen ein Haufen Asche und Trümmer zu sehen ist.
Dieser Trümmerhaufen, war früher einmal ein Haus, in dem eine Familie gelebt hat.
Manchmal fragen wir uns vielleicht wie das ist. Alles zu verlieren.
Das Haus in dem man groß wurde, Freunde und Verwandte.
Und richtig begreifen, wie man sich fühlen würde, können wir irgendwie dennoch nicht.
Dann vergessen wir oft, dass es gar nicht mal so lange her ist, dass es bei uns in Deutschland ganz ähnlich aussah.
Eine Zeit in der in den Städten kaum noch Häuser standen. Häuser inmitten von Schutt.
Vielleicht kennen einige von uns noch Menschen, die in dieser Zeit gelebt haben,
vielleicht sitzen auch jetzt und hier Menschen unter uns,
die zwischen den Ruinen spielten und die die Bedrohung von Hunger alltäglich nannten.
Und genau das erleben wir auch in dem Buch „Heul doch nicht du lebst ja noch“
Wir begleiten drei Kinder für sechs Tage in einem Leben zwischen Trümmern.
Wir lernen die Sorgen und Ängste von Traute, Hermann und Jakob kennen.
Erleben wie sich eine Vision auftut um dann wieder von Hunger und Armut überschattet zu werden.
Wir lesen über Glück und Solidarität.
Über Hunger und Zerstörung.
Es ist wichtig, dass wir das nie vergessen.
Das wir nie vergessen, wie es ist, wenn einem im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen wegbricht.
Wir können es im Geschichtsunterricht behandeln.
Wir können auswendig lernen wie viele Menschen arbeitslos waren und wie viele Hungerten.
Doch ändern wird das für uns nichts.
Für uns werden das immer nur Zahlen aus irgendeiner weitentfernten Vergangenheit bleiben.
Bücher wie dieses zeigen uns, dass hinter jeder dieser Zahlen ein Schicksal steht.
Und Zeiten wie die Jetzige zeigen uns, dass Krieg eben kein Phänomen aus einer weit entfernten Vergangenheit bleibt.
Eigentlich sollte dies eine Laudatio werden, eine Lobesrede auf das Buch.
Und als ich mich an den Computer gesetzt habe, hatte ich auch genau das vor.
Eine Lobesrede schreiben.
Aber irgendwie, das ist mir dann klar geworden, während ich diesen Text verfasst habe, ist es nicht das, was dieses Buch ausmacht.
Über dieses Buch zu reden, als wäre es ein Geschenk des Himmels, wäre falsch.
Denn, dass so ein Buch geschrieben werden muss, ist kein Anlass zur Freude.
Aber es ist wichtig, dass es Bücher wie dieses gibt.
Ich denke die Stärke dieses Buches liegt gerade darin, dass es geschrieben werden musste.
Es musste geschrieben werden um uns, den Glücklichen, die so eine Zeit nie erleben mussten, zu zeigen, was Krieg den Menschen antut.
Was Krieg Kindern antut.
Und deshalb können wir Ihnen, Kirsten Boi,e aus tiefster Seele sagen, Danke, dass es dieses Buch gibt.
2022-08-31_Braunschweiger_Zeitung
Hier ist der Link zum Buch für alle ab 14